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Interview aus Das Buch Als Magazine, 2014 

 

Jacob Holdt 
 

interview von David Benedek 
 

Interview aus: Das Buch Als Magazine, Ausgabe "Canterville", Oktober 2014. David Benedek

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Herr Holdt, wie kam es dazu, dass Sie den Anführer des Ku Klux Klan bekehren wollten?

Das wollte ich gar nicht. Ich fand den Klan nicht so spannend, dass ich selbst den Kontakt gesucht hätte. Ein dänischer Filmemacher hatte die Idee, mich für einen Dokumentarfilm mit dem wichtigsten Klanchef der USA zusammenzubringen. Und irgendwie dachte ich mir, das könnte Spaß machen.

Es war also in erster Linie ein Experiment?

Ich hatte früher schon einmal versucht, einen dänischen Neonazi aus seiner Partei zu lösen. Ehrlich gesagt ist es ziemlich leicht, Menschen mit ein bisschen Liebe und Aufmerksamkeit aus diesen Organisationen zu holen. Insofern fand ich die Frage schon spannend, ob ein Klanführer aus dem Klan zu bekommen war. Ich dachte damals einfach: Ich habe gerade Zeit, warum lerne ich die Klanleute nicht einfach mal kennen? Und ich muss sagen: Ich mochte sie vom ersten Moment an.

Gab es da keine Ablehnung? Sie hatten viel Zeit in schwarzen Communities in den USA verbracht. Ihre antirassistische Haltung war bekannt.

Nun ja, das erste Treffen, das der Filmemacher mit dem Klan arrangiert hatte, konnte ich terminlich nicht wahrnehmen. Deshalb sollte ich eine kurze Ansprache an den Führer auf Band aufnehmen. Aber was sagen Sie zu einem Klan-Chef? Ich habe mich dann dazu entschlossen, ihm von meinen unzähligen Begegnungen mit armen, weißen Anhaltern zu erzählen, die ich auf meinen Reisen mit dem Auto durch den Süden der USA gemacht hatte. Viele von ihnen waren Mitglieder des Klans gewesen. Ich erzählte, wie ich in den langen Gesprächen mit ihnen immer wieder auf die gleichen, traurigen Geschichten gestoßen war - es ging um Missbrauch, um gewalttätige Stiefväter, um schwere Kindheiten. Ich sagte in die Kamera, dass ich viele ähnliche Schicksale in den schwarzen Communities kennengelernt hätte, und weiter: „Ich kann dem Klan nur Mitgefühl entgegenbringen."

Das ist mutig.

Erst dachte ich, die Parallele zwischen Klan und Schwarzen sei keine so gute Idee gewesen. Aber erstaunlicherweise war das Gegenteil der Fall. Er war gerührt. Nachdem er das Video gesehen hatte, stand der Klan-Chef anscheinend mit Tränen in den Augen auf und sagte zu den Filmemachern: "Sie müssen mir versprechen, dass ich diesen Mann treffe."

Sie hatten einen Nerv getroffen?

Ja, sehr, wie ich später herausgefunden habe. Als ich dann endlich Zeit hatte, ihn zu besuchen, war Jeff, der Klanführer dummerweise gerade zu 130 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die wurden zwar kurz darauf zu sieben Jahren verkürzt, aber nun stand ich ja schon vor seiner Tür. Und da er es war, der mich eingeladen hatte, bin ich stattdessen bei seiner Frau eingezogen.

Wie soll ich mir das vorstellen?

Das ist eines meiner Mantras, es stammt aus meiner Zeit als Landstreicher: ,Wenn Sie Vorurteile gegenüber Menschen haben, ziehen Sie bei ihnen ein!’ Das ist der einzige Weg, sie wirklich kennenzulernen. Sobald Sie sich in solche Nähe zu einem Menschen begeben, geschieht augenblicklich etwas: Sie fangen an, ihn wirklich als menschliches Wesen zu sehen.

Aber ist es denn möglich, die Vergangenheit dieser Menschen und die Geschichte des Ku Klux Klan einfach auszublenden?

Natürlich ist es wichtig, sich dessen bewusst zu bleiben. Aber niemals dürfen ihre Vorurteile Sie daran hindern, einen Menschen zu erreichen. Schon in den ersten Gesprächen, die ich mit Pamela, Jeffs Frau, führte, wurde mir klar, wie viel Schmerz diese Menschen in sich tragen. Diese Erkenntnis wiederholte sich bei nahezu allen Interviews, die ich mit Klanmitgliedern führte. Jeff war absolut vernachlässigt aufgewachsen, mit einer Reihe von gewalttätigen Schwiegervätern und einer Mutter, die als Prostituierte mit hauptsächlich schwarzen Freiern anschaffen ging. Pamela hatte eine von Missbrauch und Inzest geprägte Kindheit. Dass ich überhaupt zu den beiden durchdringen konnte, dass sie sich mir so weit öffneten, war einzig und allein der räumlichen Nähe geschuldet. Man muss bei den Menschen einziehen! Nur so ist man wirklich gezwungen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Denn sind wir doch mal ehrlich: Normalerweise interessieren uns solche Verlierer nicht. Erst wenn sie brennende Kreuze aufstellen und Kutten tragen, werden sie für uns interessant. In der Sekunde, in der sie wieder nur armselige Drogenabhängige oder Mitglieder der anonymen Alkoholiker sind, verschwinden sie von unserem Radar. Insofern war ich mir manchmal nicht sicher, wie gut manchen von ihnen ein Ausstieg tun würde.

Was meinen Sie damit?

Durch unseren Hass werden sie zumindest wahrgenommen. Ohne diese lächerlichen Kutten und die erwünschte Reaktion darauf - was bleibt dann von so jemandem noch? Nichts. Ein weißes, armseliges Häufchen Nichts! Ich erinnere mich, als Jeff mir im Gefängnis zum ersten Mal von der Idee erzählte, den Klan aufzulösen. Ich dachte: Und dann? Ich wollte ihn beinahe überreden, im Klan zu bleiben. Hinzu kam, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon begriffen hatte, was passiert, wenn ein Klanleader geht. Es findet sich sofort ein Neuer! Irgendjemand, der sich in Kutte vor den Fernsehkameras sein kleines Stückchen Ruhm abholen will.

Behält man dann nicht lieber einen verantwortungsbewussten oder sogar antirassistischen Klanführer (lacht)? Ich bot Jeff schließlich an, der Webmaster des Ku Klux Klans zu werden. Er hatte kein Problem damit.

Sie wurden Mitarbeiter des Ku Klux Klan - war das nicht problematisch?

Ich sage immer zu meinen jüdischen Freunden: Ihr hattet mich als Garant dafür, dass in meiner Zeit als Webmaster kein Rassismus oder Antisemitismus von der Klan-Webseite ausging. Aber diesen Einfluss bekommt man nur, wenn man wirklich Teil von Ihnen wird, sie wertschätzt und mit ihnen arbeitet.

Sie haben einmal sogar die Stromrechnungen des Klan beglichen ...

Sie können sich nicht vorstellen, wie arm diese Menschen sind.

War es nie ein Problem, dass Sie von oben herab in das Leben der Menschen geschwebt kamen - der Mann mit der Kamera, mit diesem Blick von außen?

Die Klanleute freuen sich eigentlich über jede Form der Kontaktaufnahme oder Veröffentlichung. Es war aufregend für sie, eine Kamera um sich zu haben! Aber mit dem Klanführer gab es durchaus schwierige Momente. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis überredete ich ihn, für einen Fernsehbericht einige meiner schwarzen Freunde in den USA zu besuchen. Wenn ich dort versuchte, den Menschen seinen Weg verständlich zu machen, wurde er oft wütend und sagte so etwas wie: "Du brauchst mich nicht zu bemitleiden! Du spielst doch eh nur Gott."

Spielten Sie Gott?

Er war sehr intelligent und ein bisschen Wahrheit ist schon dran gewesen. Aber wissen Sie: Wenn ich beim Klan bin, verbringe ich ganz einfach nur Zeit mit den Menschen, hänge ab und trinke Bier. Erst wenn ich irgendwo Vorträge darüber halte, gerät mein Tun auf ein höheres Niveau. Dann mag es durchaus so klingen, als spielte ich Gott.

Was war denn ihr Ziel?

Das Ziel ist es immer, das Gute in den Menschen zu finden (lacht). Und ich finde es immer! Ich war ja früher mal Landstreicher, das ganze Jahr als Anhalter unterwegs, manchmal mit bis zu dreißig unterschiedlichen Fahrern pro Tag. Da haben Sie unglaublich viel Zeit, mit Menschen zu experimentieren. Mir wurde bewusst, dass man durch positives Denken und liebevollen Umgang auch Liebe von den Menschen zurückbekommt. Ein ganz automatischer Prozess. Ich musste jeden Tag ein Dach über meinem Kopf finden. Wenn ich nicht in kürzester Zeit an jemanden herankam, wurde ich in der Kälte stehen gelassen.

Kann man sich zu Liebe zwingen?

Ich treffe nur ganz selten Menschen, über die ich nicht positiv denken kann. Selbst wenn ich negative Eigenschaften an jemandem bemerke, denke ich automatisch, dass eine Verletzung dahinter stecken muss. Allein durch die Tatsache, dass ich das denke, beginne ich, Empathie für die Person zu entwickeln. Das hilft ihr, sich zu öffnen. Wie zum Beispiel bei Woody, dem Massenmörder, den ich eines Tages bei mir im Auto sitzen hatte. Er hätte sich mir niemals offenbart und von all den schrecklichen Morden erzählt, wenn ich ihm nicht zuerst meine Liebe entgegengebracht hätte. Wenn Sie Ihr Gegenüber nicht kritisieren, bekommen Sie viel zurück, glauben Sie mir.

Aber hat Liebe nicht auch mit Kritik zu tun?

Jeder Mensch weiß, dass es falsch ist, zu töten. Was bringt es da, wenn ich neben ihm sitze und sage: "Das ist unrecht, das hättest du nicht tun dürfen." Sie müssen Ihr Urteil zur Seite schieben und sich erst einmal darauf konzentrieren, jemanden von seinem Schmerz zu befreien. Woher dieser auch kommt.

Geht das denn immer?

Nein, natürlich nicht. Manchmal bin ich auch schrecklich ungeduldig oder schlecht drauf, und trotzdem könnte ich an einen Anhalter wie Woody geraten. Aber dann sitzen wir da, ich mit meinem Groll und er mit seinem Groll. Zwei Menschen mit Schmerzen können sich nicht helfen. Vermutlich würde ich dann anfangen, negativ über ihn zu denken: "Oh, der sieht aber gefährlich aus!" Ich würde die negative Seite in ihm bestärken und dann würde es vermutlich wirklich gefährlich. Aber an einem normalen Tag, wenn er sich von mir geliebt fühlt, öffnet er sich. So schlimm die Dinge, die er ihnen beichtet auch sein mögen - Sie müssen ihn bekräftigen, dass er ein Kind Gottes ist und ihn das fühlen lassen. Und dann - wow! Plötzlich wird er größer und fühlt sich gut. Und vielleicht bringt er dann erst mal niemanden mehr um. Zumindest nicht an diesem Tag.

Das wollte ich gerade fragen: Wie lange hält wohl dieses Gefühl?

Bei Woody hielt es zwei Tage, wie ich später herausgefunden habe. Zwei Tage, nachdem ich ihn abgesetzt hatte, trat er eine Tür ein und schnitt einer schlafenden Familie die Bäuche mit einem Küchenmesser auf.

Haben Sie sich da nicht nach Ihrer eigenen Verantwortung gefragt?

Jein. Ich hatte ja keine Beweise. Und vielleicht saß da ja auch nur ein Verrückter bei mir im Auto. Auf dem Highway gibt es viele Verrückte! Aber ich war neugierig. So bin ich fünf Jahre später wieder zurückgefahren und habe nach Woody gesucht. Drei Tage dauerte es, bis ich seine Familie fand, tief in einem Sumpfgebiet. Woody war im Gefängnis und ich dachte nur: Diese Familie braucht Hilfe. Sie sehnte sich nach meiner Gesellschaft, das war ganz eindeutig. Niemand hatte diese Familie je besucht, wirklich niemand. Selbst im nächstgelegenen Ort machten alle einen großen Bogen um sie.

Verständlich.

Dabei waren sie vor allem eines: nette Leute! Noch nie, bis heute, habe ich einen schlechten Menschen kennengelernt. Es gibt nur zutiefst verletzte Menschen, und verletzten Menschen muss man helfen, so wie ein Arzt oder eine Krankenschwester das tun würde. Wenn ich verstehe, wo der Schmerz seinen Ursprung hat, kann ich gar nicht anders als zu vergeben.

Nach dieser Logik trägt niemand mehr Schuld für seine Taten - weil er doch zutiefst verletzt wurde.

Wir alle sind schuldig, wenn wir nicht eingreifen sobald wir Zeuge werden, wie ein Kind verletzt wird.

Aber welche Konsequenz ergibt sich daraus?

Ich bin Idealist, nicht Realist. Ich sage nicht, dass Menschen wie Woody nicht schuldig sind. Sie sind schuldig in den Verbrechen, die sie begangen haben. Aber für mich sind das immer noch gute Menschen. Gut genug zumindest, dass wir sie nicht wegwerfen sollten. Oder die Hoffnung aufgeben.

Glauben Sie, es gibt einen Platz für Zorn im Leben - für das Recht, nicht zu vergeben?

Sicher. Den muss es geben. Aber ich denke nicht, dass Zorn ein guter Weg ist, um zu überleben.

Wo sitzt Ihr Zorn?

Ach, der kommt an anderen Stellen zum Tragen. Im Kreise meiner Familie vermutlich. Wissen Sie, es ist leicht, herumzulaufen und das alles zu predigen; aber ich bin mir sicher, dass es genügend Situationen gibt, in denen ich fürchterliche Dinge tun könnte.

Im Abspann von Lars von Triers Film "Dogville" sind fast die ganze Zeit Ihre Amerika-Fotografien zu sehen. Ihre Bilder hängen einer Geschichte an, die das Scheitern von Vergebung thematisiert. Ist Ihnen das nie komisch vorgekommen?

(Lacht) Wissen Sie: Was Lars wirklich mit seinen Filmen sagen will, weiß man nie so genau. Wir haben uns während der Produktion des Films viel unterhalten und ich würde behaupten, wie sind sehr ähnlicher Ansicht, was diese Themen angeht.

Ist es denn möglich, das zu leben, was Sie predigen: eine all-umfassende Gnade? Ihrem eigenen Vergewaltiger zu vergeben?

Lassen Sie mich das klar ausdrücken: Ich würde nicht behaupten, dass andere Menschen das tun können, was ich tue. Oder sollten. Vor Allem Frauen. Aber in meinem Fall habe ich so viel mehr durch Vergebung erhalten, als ich durch Wegrennen je bekommen hätte.

Geht es denn dabei auch um Macht, die dem Vergebenden verliehen wird?

Nein. Wenn wir hier über meine eigene Vergewaltigung sprechen, für mich war die Vergebung wie eine Erleuchtung. Und nicht durch die Macht, die sie mir gab, sondern dem, was darauf folgte. Der schwarze Mann, der mich in einer meiner ersten Nächte als Landstreicher vergewaltigte, nahm mich am nächsten Tag in seine Gemeinschaft hinein, in diese unglaublichen Welten, die ich sonst nie zu sehen bekommen hätte. Es war der Anfang von Allem. Als ob ich für den Schmerz und die Vergebung belohnt worden sei.

Das klingt …

… beinahe etwas religiös, ich weiß. Aber wissen Sie, diese extremen Fälle von Vergewaltigung und Mord dienen mir vor allem als Beispiele dafür, was passiert, wenn vorher nicht eingegriffen wurde.

Sie glauben also an Liebe als präventive Maßnahme, um Gewalt zu verhindern?

Ja. Mir geht es darum, verständlich zu machen, wie leicht es ist, Menschen zu erreichen. Und was für einen Unterschied es macht, wenn wir uns ihrer als Schutzengel annehmen.

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